19.9.2015 - Stans

"Kannst du nicht einmal so lange auf deinem Kissen bleiben, wie es braucht, eine Tasse Tee zu trinken, bemühe dich gar nicht erst um Konzentration." Shabkar

AufwachenAls ich heute morgen aufwache - Schweißgebadet, die Erkältung grüßt recht freundlich - strahlt draußen die Sonne. Geschlafen habe ich heute eigentlich recht gut, also auf zum Frühstück.Schwester Anna Theresia hat gerade Kaffee gekocht, es gibt Brot, 2 Sorten Käse, 2 Marmeladen und süßes. Am Tisch sitzen auch zwei andere Pilger, ein Ehepaar an dem ich gestern tagsüber schon vorbei gewandert bin, als sie Pause gemacht hatten. Die beiden kamen gestern nach mir an und wurden nicht weniger nass als ich. Sie berichten, der richtige Weg zum Kloster, den ich gestern verpasst habe, sei sehr langweilig gewesen, immer nur Straße den Häusern entlang. Die beiden sind in Einsiedeln gestartet und Pilgern jedes Jahr eine Woche. So erzählen sie denn auch ein paar interessante Geschichten, wie sie wohl nur beim Pilgern vorkommen.

Nach dem Frühstück packe ich meinen Rucksack. Das fällt heute irgendwie recht schwer. Es ist eine merkwürdige Sache, war ich gestern in Einsiedeln überrascht, wie viel Platz plötzlich ist, so ist er heute Rappelvoll. Ich packe dreimal aus und wieder ein, bis alles halbwegs passt. Als ich unten meine Stöcke schnappe und Schuhe anziehe, fängt mich Schwester Anna Theresia ab und verabschiedet mich. Sie gibt mir noch das restliche Süßzeug vom Frühstück mit.

Draußen angekommen, sticht mir ein merkwürdiger Geruch in die Nase. Käse. Nach ein paar Metern, in denen der Geruch nicht vergeht, wird mir klar, das muss der Rest meines Käses von gestern sein. Den habe ich über Nacht im Rucksack vergessen - der wiederum direkt an der Heizung lehnte. Ich suche also eine Bank und durchwühle den Rucksack auf der Suche nach dem Käse. Er ist zwar noch im Plastik, aber wenn der Rucksack sich unglücklich bewegt, entweicht wohl der Gestank. Weg damit.

BrunnenEs geht für etwa 15 Minuten durch den Ort Brunnen an den See hinab. An der Schifflände liegt schon die MS Mythen. Ich schaffe es genau 5 min vor abfahrt anzukommen. Eine Schulkasse und ein paar Wanderer sind schon an Bord.Nach etwa 8 Minuten erreicht das Schiff Treib. Dort steigen alle aus. Es gibt eine Standseilbahn hoch nach Seelisberg und den Weg nach Nordwesten. Ich bin der einzige, der sich nicht für die Standseilbahn entscheidet.

Hoch geht'sÜber saftig grüne Wiesen geht es stets bergauf. Dummerweise sind die so früh am morgen noch klatschnass, meine Sneaker und Socken in Folge auch. Wenn nur endlich irgendwo eine Bank käme, dass ich den Rucksack abstellen und in die Wanderstiefel wechseln könnte. Irgendwann teilt sich der Weg in einen geteerten Feldweg und einen geschotterten Waldweg. Der Waldweg führt nach oben und ist natürlich als der Wanderweg ausgewiesen. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass der geteerte Weg in ein paar hundert Metern endet. Ich nutze die Gelegenheit und setze mich an die Bordsteinkante zum Schuhe wechseln und Pause machen. Socken und Schuhe sind Klatschnass. Ich schnappe mir neue Socken und checke meine verbände. Dann bleibe ich ein weilchen gemütlich sitzen und genieße die Aussicht. Zu guter Letzt esse ich das Restliche Süßes vom Frühstück. Der Aufstieg hat es mal wieder in sich, von wegen "gemütlich am Seeufer entlang"! Es geht hinauf auf 750m Höhe. Der Schweiß tropft mir von der Stirn. Meine Füße schmerzen mal wieder bei jedem Tritt. Dabei verheilten die Wunden eigentlich recht gut. Ich vermute, dadurch, dass sie im schlafen eher ausgestreckt sind, ist es dann tagsüber, wenn ich sie beim hoch laufen anziehe um so schmerzhafter.

FelsenMein Tempo heute ist erbärmlich. Der Blick aufs Handy zeigt mit 2km/h einen absoluten negativrekord an. Umso erleichterter bin ich, als endlich die Gabelung Richtung Emmetten oder Beckenried kommt. Der Jakobsweg macht eine schleife nach Emmetten (weiter berg hoch), bevor er wieder hinab nach Beckenried führt, der andere Weg führt direkt, laut Schwester Anna Theresia "sehr, sehr steil" hinab zum See und entlang dem Ufer nach Beckenried.

Abzweigung

Ich verzichte natürlich auf weiteren unnötigen Aufstieg. Der Weg hinab ist wirklich steil, aber abwärts ist das ja wenigstens kein Problem für meine Füße und so geht es endlich halbwegs flott voran.Auf dem Weg nach unten, zeigt sich, warum die umwege so hoch nach oben nötig waren: Der Berg fällt mit einer senkrechten Felswand in den See, es gibt weiter unten einfach keine Möglichkeit einen weg zu führen. BuchtUnten angekommen, findet sich eine kleine Bucht. Ein größere Gruppe ist am Grillen, zwei Kanuten legen gerade an und ein Kletterer versucht sich an der Felswand. Ordentlich was los hier aber es ist ja auch Samstag.

TreppeIch folge dem Ufer, diesmal wirklich lange halbwegs eben. Bis ich zu einer Treppe die steil nach oben führt komme. Meine Füße schreien allein schon beim Anblick. Nun ja, hilft ja alles nichts. Qualvoll bewege ich mich aufwärts. Als es oben wieder langsam runter geht, wird es nur nicht besser.

Bisher war seit Treib absolute Stille. Die 20.000-30.000 Fahrzeuge die hier täglich auf der Gotthardautbahn durchdüsen sind im 9km langen Seelisbertunnel - dem längsten zwei-röhrigen Straßentunnel der Schweiz - außer Hörweite vergraben. Das ändert sich aber schlagartig, als ich das Ende des Tunnels erreiche, fortan ist das rauschen des Verkehrs ständig zu hören.

SkulpturAm Seeufer gibt es einen kleinen Park mit Bänken, Grillplatz und was wohl eine Schweizer Version der Skulpturen der Osterinseln sein soll. Dort mache ich nochmal eine halbe Stunde Pause. Die Füße geben einfach nichts mehr her und in die Sneaker wechseln geht ja nicht, die sind ja noch nass. Ich beschließe also, dass ich im ca. 2km entfernten Beckenried nach einer Unterkunft schaue.

BeckenriedBei meinem Schneckentempo heute, brauche ich für die 2km tatsächlich beinahe eine Stunde. Es geht am Ufer entlang vor teils unglaublichen Villen. Wer die ein oder besser andere Million übrig hat, es gibt noch welche zu kaufen!

PauseAm Ortseingang von Beckenried mache ich nochmal Pause und esse mein letztes Stück Schokolade. Die Liste mit den Herbergen liest sich leider enttäuschend. Erst im nochmal 5km entfernten Buochs gibt es etwas, "Schlaf im Stroh". Aber weitere 5km sind heute unrealistisch. Und noch dazu liegt der Hof auf dem Berg. Schwester Anna Theresia hat mir aber gestern bereits von dem Hof erzählt, und dass der Besitzer des Hofes einen Bruder in Stans hat, der auch Schlafen im Stroh anbietet. Sie hat mir heute morgen auch noch einen sehr kleinen, grünen Zettel mit einer Adresse in Stans mitgegeben, aber der muss mir leider aus der Hose gefallen sein. Ein Blick auf Google Maps verrät mir, dass ich mit dem gleichen Bus, der jede halbe Stunde fährt, beide Höfe von Beckenried aus erreichen kann. In Buochs müsste ich dann noch 2km den Berg hoch, in Stans von der Haltestelle aus nur 50m der Hauptstraße entlang. Die Entscheidung ist klar, es geht per Bus nach Stans.

BauernhofDer Bus ist rappelvoll. Beim aussteigen merke ich sofort wieder meine Füße. Die 50m zum Hof sind eine Tortur. Am Hof finde ich ein Schild und klingle. Es ist niemand da. Ein Schild zeigt den Weg "Frühstück und Dusche" um das Haus herum, ich folge ihm und finde zwei Senioren bei der Apfelernte. Das macht ihre Tochter, sagt die alte Frau, "die ist wohl noch einkaufen". Ein richtiges Zimmer kostet nicht viel mehr als das schlafen im Stroh und ziehe ich dann doch vor. Während ich mit der alten Frau rede, sind auch zwei Buben aufgetaucht, etwa 4 und 6 Jahre alt. Sie sollen mir das Zimmer und die Dusche zeigen, bis ihre Mutter kommt.

ZimmerSo kann ich dann schon mal in Ruhe duschen und bekomme schlussendlich von der Mutter sogar das große Doppelzimmer zugewiesen. Unter dem Dach gibt es 2 Doppelzimmer, ein Einzelzimmer und sogar eine Küche, die man verwenden kann.Ich befürchte schon, wieder einen 30 Minuten Marsch in den Ort in Angriff nehmen zu müssen, denn ein Blick auf die Scheine in meinem Geldbeutel sagt mir, dass ich bei Barzahlung ein Problem haben werde. Ich schiebe das Problem erstmal von mir fort und versuche die Horrorvisionen von weiterem laufen zu verdrängen. Nach einem Tee beginne ich, als letzten Strohhalm, mein Kleingeld zu zählen. Juhu, es reicht! Nun muss ich nur in den Ort, wenn ich etwas anderes als Nüsse und M&Ms zu Abendessen möchte. Nüsse und M&Ms ohne laufen schlagen gerade jedes Essen mit Laufen um Längen und so verbringe ich den restlichen Abend gemütlich im Zimmer.

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Schlaf im Stroh
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