16.9.2015 - Einsiedeln
"Ihr, die ihr dem Weg des Buddha folgt, warum sucht ihr die Wirklichkeit so beharrlich an fernen Plätzen? Sucht Verblendung und Wirklichkeit in der Tiefe eures eigenen Herzens!"Ryokan
Als ich gestern Abend vom Essen und schreiben zurück in die Herberge komme, hat sie sich bis auf den letzten der 12 Schlaf Plätze gefüllt. Da ich letzte Nacht nicht geschlafen haben und nur eine kurze Etappe ansteht, beschließe ich mir keinen Wecker zu stellen und gehe um 21:00 schlafen.
Ich habe wieder mehr schlecht als recht geschlafen. Aber ich lasse es mir nicht nehmen bis halb neun liegen zu bleiben. Damit bin ich der letzte der Aufsteht und alle ausser den zwei Damen aus Schwaben bereits losmarschiert. Die beiden haben massive blasenprobleme und werden daher mit der Bahn nach Einsiedeln fahren und dann geht es zurück nach Hause. Sie haben noch 2 Scheiben Brot und Käse übrig, die ich dankend annehme. Dann bin ich alleine in der Unterkunft, packe meine Sachen und breche auch auf. Am Eingang bei den Stiefel ist eine Hängewaage, ich konnte dann doch nicht widerstehen meinen Rucksack zu wiegen. 10,5kg inklusive Wanderstiefel und 1l Wasser.
Draußen angekommen schnappe ich mir dann aber doch nochmal etwas mehr zu frühstücken, im Vergleich zu den letzten Tagen waren die 2 Scheiben Brot ja gar nichts.
Gut gestärkt geht es dann los, gemütlich auf dem Steg über den Zürichsee nach Pfäffikon. Dort geht es dann auch sschon wieder nach oben. Über Pfäffikon tost die Autobahn. Von ihr hört und sieht man unten am See wirklich gar nichts, hier oben aber ist es ein richtig ekliges getose. An einer Bank am Waldrand wechsle ich wieder in die Wanderschuhe. Aua. Jetzt ist wirklich jeder Schritt eine Qual. Naja, was soll man machen, es muss ja weitergehen. Also immer schön brav einen Fuß vor den anderen. Durch den Wald geht es schnurstracks auf die Passhöhe St. Meinrad. Kurz bevor ich oben bin fängt es an leicht zu regnen. Sehr angenehm und genau richtig. Dort oben gibt es eine kleine Kapelle und ein Restaurant. Scheinbar wandert der Ruhetag mit mir, während gestern überall wo ich vorbei kam "Dienstag Ruhetag" war, ist hier "Mittwoch und Donnerstag" Ruhetag. Mein Wasser ist nach dem steilen Aufstieg leider schon leer. Ausserdem treffe ich auf zwei Pilgerinnen, die gestern auch in der Herberge übernachtet haben. Anscheinend hätte es auch eine weniger steil ansteigende Variante gegeben. Gut zu wissen, aber zu spät. Ich mache eine halbe Stunde pause, esse etwas und ziehe weiter. Von hier aus sieht man in der Ferne den kleinen und großen Mythen, an denen vorbei es dann nach Einsiedeln zum Vierwaldstätter See weiter geht und auch der Rigi mit seinem Turm und dem steilen Nordhang ist zu sehen.
Weiter geht es abwärts, zur Teufelsbrücke und wieder hinauf. Der Weg gabelt sich. Links geht es zum Sihlsee und am Ufer des Sees nach Einsiedeln, rechts geht es direkt nach Einsiedeln, allerdings laut dem freundlichen Schild der Gemeinde über 4,5km der Straße entlang. Ausserdem wirbt das Hotel St. Joseph für günstige Pilgerunterkünfte vor dem Kloster in Einsiedeln. Ich entscheide mich trotz meiner immer noch mit jedem Schritt schmerzenden Füße für den 10 min längeren weg am See entlang. Zunächst geht es dann aber erstmal entlang der Straße hinauf. Während ich mich den Hang hoch quäle beneide die im Gras liegenden Kühe. Einfach nur gemütlich daliegen, den ganzen Tag leckere Wiesenkräuter mampfen und ab und zu mal einen Schluck frisches Quellwasser trinken. Herrlich! Im Grunde ist so ein all-inclusive Urlaub ja eigentlich nichts anderes. Im April lagen wir eine Woche lang den ganzen Tag in der Türkei am Pool, ließen uns Cocktails bringen und schleppten uns morgens, mittags und abends ans Buffet... Statt gelben markern an den Ohren, hatten wir ein blaues Bändchen am Arm. Und wir wurden, obwohl der Billigflieger zurück nach Deutschland recht abenteuerlich war, immerhin nicht am Ende des Urlaubs geschlachtet. Vielleicht ist es doch besser Mensch zu sein...
Als ich oben ankomme, eröffnet sich ein wunderbarer Ausblick auf den Sihlsee und es sind in der Ferne das erste mal die Türme vom Kloster Einsiedeln sichtbar. Bald geschafft! Bevor es über grüne Wiesen hinunter zum See geht, mache ich nochmal kurz Pause und wechsle nochmal die Schuhe.
Der Sihlsee ist, laut Tafel am Wegesrand, der größte Stausee der Schweiz und dabei gerade mal maximal 27m tief. In den 1920er-Jahren war die Gemeinde Einsiedeln sehr arm und die SBB brauchten für die Elektrifizierung ihrer Bahnstrecken in der Region Zürich unbedingt Strom. So willigt die Gemeinde dazu ein, 10% ihrer gesamten Fläche zu fluten. Die Hochmoorlandschaft verschwindet im See, die SBB bekommen sekundengenau abrufbaren Strom zum Schnäppchenpreis. 1987 läuft die erste Konzession aus und die Gemeinde versucht bessere Konditionen zu verhandeln. Man einigt sich gerichtlich auf eine bis 2017 gültige Übergangslösung. Für die 230-250 Mio. Kilowattstunden bekommt die Gemeinde Einsiedeln nun immerhin 800 000 CHF statt bisher 100 000 CHF im Jahr.
Laut Wegweiser sind es noch 40 min bis Einsiedeln. Da es erst 14:30 ist und ich ja in Einsiedeln außer Füße verarzten und in der Herberge hocken nichts zu tun habe, beschließe ich, ein wenig am Seeufer die Sonne zu genießen. Kurz überlege ich, ob ich im klaren Seewasser meine T-shirts und Socken waschen soll, verzichte dann aber darauf, selbst ohne Waschmittel könnte das ein großes Fischsterben auslösen.
Dem See entlang geht es dann weiter. Inzwischen tun auch mit den Sneakern die Füße ordentlich weh. Erleichtert erreiche ich gegen halb vier Einsiedeln. Jetzt schnell eine Unterkunft finden und die nächstbeste Apotheke leer kaufen. Ich habe inzwischen beschlossen, dass ich 2 Nächte hier bleiben muss, wenn es weiter gehen soll. Meine Füße müssen sich dringend erholen, dass kein Blut aus den Schuhen läuft ist gerade alles.
Am Klosterplatz springt mir das Hotel Sonne ins Gesicht. Ich gehe hinein und eine Treppe hinauf. Auf die Frage nach einem Zimmer bis Freitag verschwindet der Wirt erstmal eine ganze Weile im Büro. Während ich mit Sack und Pack im Gang stehe und eigentlich nur mein Zeug los werden will... "Wir haben eine große Gruppe da, ich könnte Ihnen nur unser Doppelzimmer anbieten. Das verwenden wir aber eigentlich nur als Reserve". 100CHF/Nacht möchte er. Zwar deutlich über meinem Budget von maximal 50CHF/Nacht, aber eigentlich gar nicht so schlecht, im Internet war in Einsiedeln nur das Jugendzentrum mit 110CHF/Nacht zu finden. Wenn Preise vergleichen herumlaufen bedeutet, kann ich aktuell gut darauf verzichten. Da fällt mir das Schild der Pilgerherberge von vorhin ein, die ja auch hier am Platz sein müsste. In Anbetracht der Aussicht darauf draußen weiter herum humpeln zu müssen, versuche ich aber doch noch, den Wirt auf 150CHF für beide Nächte herunter zu handeln. Ich soll mich mal bei den Nachbarhotels erkundigen und falls ich bei 18:00 nichts finde, zurück kommen, sagt er.
Es bleibt mir also nichts anderes übrig, ich humple auf den Klosterplatz und suche das Pilgerhotel St. Joseph. Das ist erfreulich schnell gefunden. Eine Dame begrüßt mich freundlich und zeigt mir ein Einzelzimmer im 4. Stock. "Pilger-Spezial-Preis, weil sie 2 Nächte bleiben 50CHF/Nacht". Perfekt. Auf die Frage hin, wo ich waschen kann, meint sie, ich soll es einfach an die Maschine legen, sie wäscht dann für mich mit. Noch besser. Als ich dann alleine im Zimmer bin, Wechsel ich kurz in meine Jeans und dann nichts wie los zur Apotheke. Nachdem ich in der Engel Apotheke gut beraten und mit verbandszeug ausgestattet wurde, geht es noch zum Supermarkt. Natürlich ist der nicht oben beim Kloster, sondern unten am Bahnhof, also nochmal laufen...
Zurück im Zimmer, mit frischem Verbandsmaterial ausgestattet, begutachte ich erstmal die Situation. Erfreulich: keine einzige Blase. Weniger erfreulich: dafür zwei offene Wunden, jeweils hinten, oberhalb der Verse. Die 10x9cm großen Pflaster reichen gerade und als ich den alten verband löse, blutet es tatsächlich ordentlich. Nachdem ich neu verarztet bin, lege ich mich erstmal 2h hin, obwohl es erst 17:00 ist und draußen die Sonne scheint, ist der Tag heute für mich gelaufen und morgen ausruhen angesagt.
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